Was passiert, wenn ein Weltklasse-Dirigent und 200 Schüler aus Berliner Schulorchestern aufeinandertreffen? Ein außergewöhnlicher Moment, der zeigt, wie die Kraft der Musik über sich hinauswachsen lässt. Hier lesen Sie die ganze Geschichte.
Es gibt diese besonderen Momente, die zeigen, warum Musik eine universelle Sprache ist. Ein solcher Moment war jener Samstagmittag im Jahr 2007, als Sir Simon Rattle – Maestro und Weltstar – den Großen Saal der Berliner Philharmonie betrat. Dort warteten nicht die berühmten Berliner Philharmoniker, sondern rund 200 junge Musikerinnen und Musiker aus fünf Berliner Schulorchestern. Und was diesen an Perfektion fehlte, glichen sie mühelos durch ihre Energie und Begeisterung aus.
Das bewies schon der Einstieg ins Programm: Jedes Schulorchester durfte sich zunächst mit einem eigenen Stück vorstellen. Die Celli des Orchesters vom Britzer Albert-Einstein-Gymnasium jagten durch einen Presto-Satz von Haydn. Die Schüler der Schostakowitsch-Musikschule Lichtenberg zauberten eine berührend zarte Sarabande von Britten, während das Canisius-Kolleg mit Tschaikowsky bewies, dass auch Elegie jugendlich locker gespielt werden kann. Das Erich-Hoepner-Gymnasium brachte schließlich Berlioz "Gang zum Richtplatz" ins Spiel, und plötzlich stand ein ganzes Heer von 55 Schülern auf der Bühne. Ob Berlioz damit gerechnet hatte, dass seine dramatische Musik einmal von Teenagern in Turnschuhen aufgeführt würde?
Es ist nicht das erste Mal, dass der Dirigent im Ritterstand Berliner Schulorchestern die Ehre gibt. Im Februar 2013 leitete der Maestro sechs Nachwuchsorchester bei Auszügen aus Edvard Griegs "Peer Gynt Suite".
Dann jedoch war Sir Simons großer Moment gekommen. „Es ist Beethoven – nicht Frühstück!“ rief er fröhlich in gebrochenem Deutsch. Die Schülerinnen und Schüler, die eben noch stolz auf ihre Leistungen gewesen waren, fanden sich plötzlich mitten im Finale von Beethovens Fünfter Sinfonie wieder – dirigiert von einem Mann, dessen Leidenschaft jeden Einzelnen mitzureißen verstand.
Die ersten Takte? Gar nicht schlecht, doch schnell geriet das Ensemble in wilde Fahrt, Flöten jagten hinter den Geigen her, und die Pauken wirbelten vor Eifer beinahe aus dem Takt. Und Sir Simon? Mit einem breiten Grinsen und einem gehobenen Finger stoppte er das Orchester. „Nicht schlecht, aaaber …“, begann er, bevor er in charmantem Denglisch einwarf: „Wir brauchen etwas mehr Mut. Sie spielen Beethoven, nicht Tony Blair!“ Britischer Humor par excellence.
Was folgte, war ein Wechselbad der Gefühle. Rattle forderte Mut, Energie, aber auch zarte Empfindsamkeit. In den Gesichtern der jungen Musiker spiegelten sich Begeisterung, Respekt – und gelegentlich blankes Entsetzen, wenn der Dirigent mit der ihm eigenen Intensität seine Vision erklärte. Genau das machte den Zauber aus: Unter der Leitung eines der besten Dirigenten der Welt schufen die Jugendlichen etwas Außergewöhnliches.
Am Ende war der Saal erfüllt von dem, was man nur mit einem Wort beschreiben kann: Magie. Sir Simon Rattle, der an diesem Tag mehr Lehrer als Maestro war, bewies, dass Musik nicht nur gehört, sondern erlebt werden muss. Die Schüler wuchsen über sich hinaus, und die Zuschauer waren hingerissen.
Dieser Tag war mehr als nur ein Konzert. Es war eine Liebeserklärung an die Kraft der Musik. Rattle zeigte, dass kein Orchester zu klein ist, um Großes zu schaffen – solange der richtige Maestro den Taktstock schwingt. Und wenn Beethoven hätte zusehen können? Nun, er hätte vermutlich laut geklatscht. Oder wenigstens gelächelt.
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